Abends lag Kaja noch lange wach im Bett und dachte darüber nach. Für sie war Amerika immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gewesen. Ein Land, in dem Milch und Honig flossen. Stattdessen wurde sie hier mit bitterer Armut konfrontiert. (Seite 119)

 

Cover: Indianisch für AnfängerZum Inhalt

Kaja will vor ihrem Studium für ein Jahr als Au-Pair nach Amerika und sucht sich dazu eine Professorenfamilie mit einem Kind aus. Allerdings hat sie übersehen, sich zu erkundigen, wo genau sie hinkommen wird. Bei der Ankunft stellt sich heraus, daß ihr Gastvater an einem College für Lakota in der Pine Ridge Reservation tätig ist. Unglücklicherweise ist dessen Frau bei Kajas Ankunft schwer erkrankt und liegt im Krankenhaus. So muß sie nun plötzlich ganz alleine mit dem Haushalt und der fremden Umgebung, vor allem den Indianern, zurecht kommen, denn die ticken völlig anders. Unvorbereitet ist sie auch auf die Armut, die allenthalben im so reich geltenden Amerika anzutreffen ist.
Und dann ist da noch Sonny, mit dem sie einen Lakotakurs besucht und dem sie Nachhilfe gibt. Gegenseitige Sympathie scheint aufzukommen, aber immer wieder gibt es Mißverständnisse. Haben die beiden eine Chance?

 

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Es ist Verlag wie Autorin hoch anzurechnen, daß sie in Zeiten der um sich greifenden „Pseudonymeritis“ diesen Roman unter dem Namen der Autorin veröffentlicht haben, obwohl er so ganz anders ist als ihre bisherigen Bücher. Das fängt bei der Zeit (Gegenwart) an bis hin zur Zielgruppe, bei der anscheinend an ein etwas jüngeres Publikum, das weniger Vorkenntnisse hat, gedacht wurde. Gerade, weil heute vielfach fast schon für jeden Roman ein neues Pseudonym ge- bzw. erfunden wird, habe ich großen Respekt für die Entscheidung, dies hier nicht zu tun. Aus meiner Sicht hat es dem Buch gut getan, denn so habe ich die Kompetenz für die Themen, welche ich bisher bei der Autorin gefunden habe, auch auf dieses Buch übertragen, und mit mehr als nur Verwunderung gelesen, daß man in Amerika beispielsweise wegen sexuellem Mißbrauch in Schwierigkeiten kommen kann, wenn man ein Kind zum Trösten in den Arm nimmt (vgl. S. 20). Ich fürchte, das ist zutreffend.

In den letzten Wochen habe ich Bücher dreier Autoren, die in verschiedenen Jahrhunderten bei Indianern spielen, gelesen. Direkt vor diesem las ich „Die Feder folgt dem Wind“ der selben Autorin, was einen interessanten Vergleich ergibt. Wobei ein direkter Vergleich natürlich nicht möglich ist, da die Zielgruppen verschieden sind. Dort wie hier ist der anschauliche und flüssig lesbare Stil der Autorin hervorzuheben, der es mir ermöglichte, auch bei nur wenig Zeit ein Kapitel zu lesen. Schon nach wenigen Worten war ich wieder in der Geschichte gefangen und konnte nahtlos ans letzte Lesen anknüpfen - das ist nicht bei allen Autoren der Fall. Dort wie hier war es kaum möglich, das Buch aus der Hand zu legen; einen solchen Sog entwickelte die Handlung, daß ich unbedingt wissen wollte, wie es weiter geht.

Eine weitere Parallele ist, daß in beiden Büchern - wenngleich auf sehr verschiedene Weise - eine weiße Frau eine Beziehung mit einem Lakota eingeht. Das für mich interessante war die Feststellung, daß manche Denk- und Verhaltensweisen anscheinend typisch für Indianer sind, nicht nur für Lakota. Don Coldsmith hat mehrere Stämme zum Vorbild für sein Volk der Spanish Bit Saga, die im 16. Jahrhundert spielt, genommen. Bei Michael Blake sind es (im Buch) Comanchen, bei Kerstin Groeper Lakota (Sioux). Auch wenn sich natürlich vieles mehr oder weniger zwangsweise geändert hat, waren doch bis in die heutige Zeit hinein viele Ähnlichkeiten vorhanden, die schon in der „Feder“ beim Verständnis der beiden Protagonisten untereinander zu Schwierigkeiten führten, und auch hier wieder auftauchen. Zumal weder Kaja noch Sonny immer den unterschiedlichen kulturellen Hintergrund gegenwärtig haben. So müssen beide immer wieder aufpassen bzw. lernen, daß viele Handlungen einfach daraus resultieren, aus welcher Gesellschaft man kommt. Was in der einen normal ist, ist in der anderen unbekannt oder vielleicht ganz anders.

Etwas seltsam fand ich, daß Kaja sich so ganz ohne Vorkenntnisse in das Abenteuer Amerika gestürzt hat. Pine Ridge mag in der Tat vielen hier kein Begriff sein, aber wenn ich für ein Jahr ins Ausland gehe (und mir bis zu einem gewissen Grad die Gegend aussuchen kann), würde ich mich doch informieren, wohin ich da ungefähr komme. Andererseits ergibt sich natürlich aus eben jener Unkenntnis der Figur die Möglichkeit, die Leser, welche teilweise vermutlich genau so unkundig sind, mit den Verhältnissen bekannt zu machen. Hierbei ist es schwierig, die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig Information zu finden. Mir war vieles bereits bekannt, so daß ich nicht beurteilen kann, wie es auf einen Leser, der wirklich so wenig Ahnung von den Umständen wie Kaja hat, wirkt. Kaja schien mir zu Beginn auch eine recht oberflächliche, teilweise sogar arrogante, Person zu sein; durch die Geschehnisse des Jahres in den USA hätte sie sich für meine Begriffe mehr verändern müssen als es im Buch aufschien. Denn durch die Krankheit der Gastmutter wurde sie quasi ins kalte Wasser geworfen, die Kindheit war von heute auf morgen vorbei. Erst auf der letzten Seite gibt es eine Szene, in der in vollem Umfang deutlich wird, wie sehr sie sich entwickelt hat und erwachsen geworden ist.

Mit der Thematisierung der kulturellen Unterschiede sowie den sich daraus oft ergebenden Mißverständnissen, dem auch in den USA (aber nicht nur dort) latent vorhandenen Rassismus und dem Plädoyer für ein friedliches und verständnisvolles Miteinander in der Zukunft werden im Verlauf des Buches auch durchaus ernste Themen angesprochen, ohne daß ein Zeigefinger oder gar der Holzhammer hervorgeholt werden.

Nebenbei erfährt man einiges über geschichtliche Ereignisse, (heute wieder) gepflegte Bräuche sowie die Hauptprobleme in den Reservationen. Auf deren Ursache wird nicht weiter eingegangen, das hätte den Rahmen des Buches allerdings gesprengt. Für den Leser mitunter mit einem Schmunzeln zu verfolgen sind die Schlagabtäusche zwischen Kaja und Sonny - ein Gespann, das mich an manchen Stellen an die „Paarungen“ bei Elisabeth Büchle hat denken lassen (auch wenn deren Bücher ganz anders sind als die von Kerstin Groeper).

Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Ich halte es für gut geeignet, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen überhaupt erst das Interesse für Indianer (wieder?) zu wecken. Die Handlung ist in sich abgeschlossen, läßt am Ende jedoch genügend Raum für eine Fortsetzung, die, wie der Verlag an anderer Stelle schrieb, in Überlegung ist. Ich hoffe sehr, daß diese kommen wird. Denn ich möchte zu gerne wissen, wie es nach den Geschehnissen dieses Buches den Figuren weiter ergeht.

 

Mein Fazit

„Weiße Frau“ trifft „roten Mann“ oder das Aufeinandertreffen der Kulturen heute. Ein lesenswertes Buch über Vorurteile, Mißverständnisse und deren Überwindung.

 

 

Über die Autorin

Kerstin Groeper wurde in Berlin geboren und lebte einige Zeit in Kanada; sie spricht Lakota. Über Indianer schreibt sie Artikel für verschiedene Zeitschriften sowie Bücher. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie in der Nähe von München.

Bibliographische Angaben

330 Seiten, kartoniert. Hinten Hinweise auf Hilfsprojekte für Indianer
Verlag: Traumfänger Verlag, Hohentann 2015