Theresa verstand mit einem Mal das Dilemma dieser Menschen. Gleichgültig, welchen Weg sie wählten: beide führten in die Katastrophe. (Seite 325)

Cover: Die Feder folgt dem Wind

 

Zum Inhalt

Theresa Bruckner ist eher widerwillig mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert. Ihre Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als nach dem Sand Creek Massaker Cheyenne ihre Farm überfallen, ihren Mann töten und sie verschleppen. Aber der Mann, der nicht wollte, daß sie getötet wird und sie mitnimmt, ist ein Lakota. In seinem Dorf angekommen ist es für sie wie in einer fremden Welt, die sie ablehnt. Doch als Soldaten das Indianerdorf überfallen und auch auf Theresa schießen, beginnt sich alles zu ändern.

 

 

Kommentar / Meine Meinung

(...) und am Ende wird nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist. Der Sturm hat alles mit fortgenommen. Doch bis dahin ist es ein langer, schmerzhafter Weg. Mit diesen Worten habe ich meine Inhaltsangabe zu Michail Scholochows „Der stille Don“ beendet. So viele Unterschiede auch zwischen beiden Büchern bestehen, diese Beschreibung trifft auf beide zu. Obwohl „Der stille Don“ in einer ganz anderen Gegend der Welt und einige Jahrzehnte später spielt, mußte ich immer wieder an ihn denken. Denn dort wie hier ist der Untergang einer Lebensform Thema der Erzählung.

Zwar umfaßt der eigentliche Roman „nur“ rund fünfhundert Seiten und erstreckt sich über eine Spanne von gut vier Jahren, aber gefühlsmäßig erschien es mir am Ende, als ob ein ganzes Zeitalter verstrichen sei und der Schluß vom Beginn so weit entfernt ist wie etwa die Sonne von der Erde. Der Überfall auf Theresa Bruckners Farm - war der wirklich in diesem Buch oder nicht doch in einem anderen, zuvor gelesenen?

Neben dem Untergang der bisherigen Lebensform der Lakota ist ein zweites Thema das des Zusammenlebens eines Indianers und einer weißen Frau, zumal diese nicht freiwillig zu den Lakota kam. Wakinyan-gleschka war der Mann, der sie vor der Ermordung durch die Cheyenne gerettet hat und der sie, da seine bisherige Familie an den Pocken gestorben ist, zur Frau haben will. Bar jeglicher Kitschromantik beschreibt die Autorin das Annähern der beiden, wie es sich in so einer Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit abgespielt haben könnte. Dem Leser hilft beim Verständnis, daß die Kapitel des Buches abwechselnd aus Sicht von Theresa und Wakinyan-gleschka geschrieben sind, so daß man oft eine Situation aus beiden Blickwinkeln geschildert betrachten kann.

Dabei (sowie im Verlauf des Buches) wird deutlich, daß der Kulturschock keineswegs einseitig ist. Nicht nur Theresa muß in einer völlig anderen Welt, von der sie bisher erzählt bekam, die sei von „unzivilisierten Wilden“ bewohnt, zurecht kommen. Auch Wakinyan-gleschka stellt muß zunehmend erkennen, wie sehr sich die Welt der Lakota von der der Weißen unterscheidet. Was in der einen Welt überlebenswichtig ist, wird in der anderen verachtet oder ist gar nicht bekannt - und umgekehrt. Der Autorin gelingt es auf bemerkenswerte Weise, diese Unterschiede quasi nebenbei herauszuarbeiten, die Figuren damit zu konfrontieren und zu zwingen, damit umzugehen, ohne je romantisierend oder verharmlosend darzustellen. Dadurch war ich während des Lesens tief in diese auch mir recht unbekannte Welt eingetaucht; nachdem die letzte Zeile gelesen war, dauerte es geraume Zeit, bis meine Sinne wieder in der Lage waren, sich in der realen Welt zurecht zu finden. Bis jetzt bin ich mir nicht sicher, ob nicht die Welt(anschauung) der Lakota, auch wenn sie der US-Army unterlegen ist, letztlich die bessere war bzw. ist.

Kerstin Groeper erspart weder den Figuren noch dem Leser etwas von der Härte und Brutalität jener Zeit, ohne dabei jedoch zu genau ins Detail zu gehen. So weiß man zwar, was geschieht, jedoch dankenswerterweise ohne sich voyeuristisch am Leid der Figuren zu weiden, wie das heute (leider) oft üblich geworden ist. Selten habe ich solche dezenten und zurückhaltenden „Bett“szenen gelesen wir hier; vor allem waren es solche, die wirklich für die Handlung und das Verständnis der Figuren notwendig waren. Alle Achtung!

Sowohl die Indianer als auch die Weißen begehen schlimme Taten; die Autorin enthält sich jedoch einer Bewertung, sondern schildert selbige einfach. Aber das ist fast schlimmer, denn dadurch sprechen die Taten für sich. Und die lassen die „Weißen“ sowie die US-Army im denkbar schlechtesten Licht erscheinen und mich unwillkürlich an sehr düstere Zeiten des 20. Jahrhunderts denken. Wer sich ein bißchen mit der Geschichte des sog. Wilden Westens auskennt, weiß, daß die Autorin hier nicht übertrieben hat - leider. (Man lese etwa Augenzeugenberichte über das Sand Creek Massaker, das hier im Buch eine Nebenrolle spielt). Das Leid, welches dadurch den Indianern zugefügt wurde, wurde dadurch greifbar, nachvollziehbar und verständlich.

Wie in ihrem späteren Buch „Der scharlachrote Pfad“ werden die Lakota hier als Menschen mit eigener Kultur, Rechtsbewußtsein und Sitte beschrieben. Theresa muß im Verlauf ihrer Zeit bei diesem Volk feststellen, daß sie mitnichten jene Wilden sind, als die man sie ansieht. Und manches sauberer und kultivierter ist als bei den „zivilisierten“ Weißen. Um so deutlicher und härter wird der Kontrast auf den letzten rund hundert Seiten, da die Welten endgültig hart aufeinanderprallen. Ich schätze, es waren diese Seiten, von denen die Autorin im Nachwort schrieb, daß ihr beim Schreiben Tränen in den Augen standen. So war ich wenigstens in guter Gesellschaft.

Zwar sind die Hauptpersonen fiktiv, die Ereignisse entsprechen jedoch weitgehend der Historie. Selten ist der unvermeidliche Untergang der indianischen Kultur- und Lebensweise so deutlich geworden, wie hier im Buch. Die indianischen Völker waren unter sich uneins; anstatt sich alle zusammen zu schließen, führten sie immer wieder Kriege gegen ihre angestammten Feinde, und schwächten so zusätzlich ihre Position. Den Rest gaben ihnen die Veränderungen, die durch die Weißen bewirkt wurden. Zum Beispiel, indem die Büffel abgeschlachtet und den Indianern damit die Lebensgrundlage entzogen wurde.

Im Nachwort geht die Autorin auf Fälle, in denen weiße Frauen mit Indianern zusammen lebten und bei diesen bleiben wollten, ein. Die Geschichte um Theresa und Wakinyan-gleschka mag fiktiv sein, aber solche Verbindungen kamen vermutlich öfters vor, als man gemeinhin annimmt. Kerstin Groeper wollte mit ihrem Buch, wie sie im Nachwort schreibt, jenen weißen Frauen, aber auch ihren indianischen Ehemännern ein kleines Denkmal setzen, die den Mut hatten (und ihn immer noch haben), zu ihrer Beziehung zu stehen und ihre Liebe auch über schwierige Zeiten hinweg zu retten. Das ist ihr in überaus lesenswerter und beeindruckender Weise gelungen.

 

Kurzfassung

Ein grandioses Buch, das basierend auf tatsächlichen Begebenheiten von der Beziehungen zwischen einer Weißen und einem Lakota sowie die letzten freien Jahre der Lakota, bevor ihre traditionelle Lebensweise zerstört wurde, erzählt. Absolut lesenswert.

 

 

Über die Autorin

Kerstin Groeper wurde in Berlin geboren und lebte einige Zeit in Kanada; sie spricht Lakota. Über Indianer schreibt sie Artikel für verschiedene Zeitschriften sowie Bücher. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie in der Nähe von München.

Bibliographische Angaben

514 Seiten, Landkarte auf dem Vorsatz, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Traumfänger Verlag, Hohentann 2010