Alles, alles zerstört der Krieg. Die Beziehungen unter den Menschen, den Glauben an Gerechtigkeit, die Menschlichkeit ... Alles verliert an Bedeutung: Tapferkeit, Ruhm, Ehre. (Seite 231)

 

Cover: Weiter Himmel, wilder FlussZum Inhalt

Wieder sind vierzehn Jahre vergangen, die Waidbacher werden älter, die Zeiten ändern sich. Nicht alles hat sich so entwickelt, wie man sich das einstens erhofft hat. Und dann dringen in die abgelegene Siedlung an der Wolga erste Gerüchte über Napoleon, der anscheinend wirklich vor hat, Russland anzugreifen. Noch wähnt man sich, weit ab vom Schuß, in Sicherheit, doch je näher Napoleons Truppen Russland kommen, je mehr wird auch das Leben der Menschen an der Wolga beeinflußt.

 

Vorbemerkung

Die gespoilerte Textstelle (durch "[ ]" markiert) verrät Inhalte des Buches. Um diese Stelle lesen zu können, bitte einfach mit gedrückter linker Maustaste darüber fahren (die Stellen quasi markieren). Der Text wird dann lesbar.

 

Meine Meinung

Scheinbar unendlich lange ist es her, daß sich im fernen Büdingen ein Treck mit Auswanderen gen Russland in Bewegung setzte. Die wir in ihrer Jugend kennengelernt haben, sind nun um die fünfzig und darüber; die nächste - und teils übernächste - Generation wächst heran. Manches, was am Ende des vorherigen Bandes so überaus gut ausgesehen hat, entwickelte sich völlig anders - das Leben hat seinen Tribut gefordert. Als ob das nicht genug wäre, beginnt die Weltpolitik bis ins entlegene Waidbach ihre Auswirkungen zu zeitigen.

Bezieht man die beiden Vorgängerbände mit ein, sind es ein langer Zeitraum und ein weiter Weg, über die man die Figuren begleitet hat. Angesichts dessen, daß dies der Abschluß der Trilogie ist, hatte sich eine gewisse Melancholie bemerkbar gemacht, denn wenn dieses Buch weitere dreizehn Jahre später zu Ende gehen wird, ist absehbar, daß man nicht alle wird in ihr weiteres Leben entlassen können; es dürften einige Gräber entlang des Weges zurück bleiben.

Es wird immer wieder Bezug auf frühere Vorkommnisse genommen, diese aber im Kontext so weit erklärt, daß „Weiter Himmel, wilder Fluss“ auch ohne die Kenntnis der ersten beiden Bücher verständlich ist. Aber natürlich hat man mehr von der Geschichte, wenn man die bisherigen Geschehnisse präsent hat und die vollständigen Hintergründe kennt. Dabei ist es der Autorin mehrfach gelungen, mich zu überraschen.

Am Ende von „Dunkle Wälder, ferne Sehnsucht“ hat man so seine Vorstellungen und Wünsche, wie es in der Kolonie weitergehen wird oder sollte. Aber vierzehn Jahre sind eine lange Zeit, nicht immer entwickelt sich etwas so, wie es ursprünglich aussieht. Schon der Blick in das dankenswerterweise wieder vorhandene Personenverzeichnis offenbart das. Ich bin mir nicht sicher, wer mich da am meisten überrascht hat; Frannek hat jedenfalls gute Aussichten auf Platz eins in dieser Liste, [ wobei ich ihm das Gute, was ihm seit Verlassen der Kolonie widerfahren ist, von Herzen gönne. Er hatte es wirklich nicht leicht und diese Chance mehr als verdient. ]

Irritiert hat mich die Autorin, als unvermittelt der Blick zurück nach Deutschland ging und Christian aus Ellwangen eingeführt wurde. Mit ihm und aus seiner Sicht erleben wir Feldzüge Napoleons und schließlich den Einmarsch nach Russland. Zwar hatte ich eine Vermutung, weshalb er in die Handlung eingeführt wurde, jedoch hat mich auch hier die Autorin (positiv) überrascht und die über weite Strecken getrennt verlaufenden Handlungsfäden schließlich geschickt verknüpft.

Auch, wenn es nicht ausbleibt, daß Kriegshandlungen beschrieben werden, so empfand ich deren Schilderung, trotz der furchtbaren Dinge, die auf den Schlachtfeldern geschahen, erträglich. Wie schon so oft, wird es emotional am stärksten abseits der Kämpfe, wenn es gilt, den normalen Alltag, das Leben an sich zu meistern. Und mit den Geschehnissen zurecht zu kommen. Irgendwie.

Je weiter das Buch voran schreitet, je mehr Gräber bleiben naturgemäß am Rande des Weges zurück; immer wieder heißt es Abschied nehmen. Aber auch Neues zeichnet sich ab; das Leben geht weiter, die künftigen Generationen wollen zu ihrem Recht kommen. Als das Buch dann ausklingt, ist vieles anders gekommen, als die Figuren - und auch die Leser - erwartet haben.
Kriege kamen, Kriege gingen, Zaren und Kaiser rangen um die Macht. Menschen starben. Menschen wurden geboren. Die eine Liebe erstarb, die andere erblühte.
Zu irgendeinem Zeitpunkt musste sich wohl jeder die Frage stellen, was im Leben wirklich zählte.
(S. 332f)
Es ist diese Grundfrage, die immer wieder auftaucht, die sich viele der Figuren stellen und immer wieder neu beantworten mußten. Die Frage, die sich letztlich auch an die Leser richtet. Um irgendwann sagen zu können: Es ist Zeit zu gehen. Seid nicht traurig, seid dankbar für die Zeit, die wir miteinander hatten. (S. 219)

 

Mein Fazit

Das Buch erzählt die Geschicke der Waidbacher durch die Jahre der Napoleonischen Kriege hindurch fort. Der für mich stärkste und emotionalste Band der Trilogie.

 

Über die Autorin

Martina Sahler hat nach dem Studium als Lektorin gearbeitet; seit 1990 ist die freischaffende Schriftstellerin. Sie hat viele Bücher veröffentlicht, die in etliche Sprachen übersetzt wurden. Mit ihrer Familie leben sie im Bergischen Land.

Bibliographische Angaben

335 Seiten, 1 Landkarte, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Weltbild Verlag, Augsburg 2016

> Hier klicken < für eine Aufstellung aller Bände der "Wolga-Trilogie"

Cookies erleichtern bzw. ermöglichen die Bereitstellung unserer Dienste. (Bei der Nichtannahme von Cookies kann die Funktionsfähigkeit der Website eingeschränkt sein.)