Jede Pop-Generation braucht schließlich ihren Exklusivbesitz, ihr Wir-Gefühl, ihre Credo, ihren Code. (Seite 82)

Cover: Die 70er - Der Sound eines JahrzehntsZum Inhalt (Verlagsangabe)

Die 70er sind das innovationsfreudigste und folgenreichste Jahrzehnt der Popmusik. So unterschiedliche Genres wie Glam, Punk, Reggae und Metal feiern hier ihren Ursprung, nicht zu vergessen Krautrock, Elektropop, Disco, Prog und sogar Hip-Hop.
Ernst Hofacker erzählt die Story dieses einzigartigen Jahrzehnts anhand von zehn exemplarischen Daten. Er entfaltet die popkulturelle Vielschichtigkeit, zeigt auf, wie Trends und ihre Gegenbewegungen entstanden, und verfolgt die gesellschaftlichen Hintergründe und ihr Fortwirken bis heute.

 

 

 

 

Meine Meinung

Als ich das Buch zu lesen begann, war dies für mich eine Zeit des Umbruchs: des Endes meines beruflichen Lebens und des Beginns des letzten Abschnitts - dem Ruhestand. Oder, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, der letzte Zug ist bestiegen. Ich war also in einer etwas seltsamen Stimmung, habe einen Bogen geschlagen vom letzten Abschnitt des Lebens zurück zum ersten. Einen Großteil meiner musikalischen Erinnerungen verbinde ich mit den 70er Jahren, da kam mir dieses Buch gerade recht. Es erinnert mich an meine Jugend. Und irgendwie erzählt der Autor davon. Er ruft vieles ins Gedächtnis zurück, was lange in Schubladen der Erinnerung verschlossen war, er erzählt von Entwicklungen, die ich hätte mitbekommen können und, warum auch immer, nicht mitbekommen habe. Und er erweckt seltsamerweise Erinnerungen, die ich gar nicht haben kann. So seltsam, wie das klingt, war mir beim Lesen auch zumute.

Ich ließ ich mich also vom Autor einige Jahrzehnte zurück versetzen in eine Zeit, da alles noch so klar vor mir zu liegen schien, bevor irgendwann die harte Realität des Lebens eingriff. Aus den Lautsprechern der Stereo-Anlage erklang die „vielleicht emotionalste und womöglich perfekteste weibliche Gesangsstimme ihrer Zeit.“ (Vgl. S. 44 - gemeint ist natürlich die vor vierzig Jahren tragisch verstorbene Karen Carpenter.) Ich freute mich auf rund dreihundert Seiten in Erinnerungen schwelgen und hoffte auf so manche Entdeckung in den hinteren Winkeln meines Gedächtnisses, die seit langem im Dunkel des Vergessens verborgen waren.

Nur leider war die Freude nicht von Dauer. Denn je weiter der Autor voranschritt (im Buch wie gleichzeitig in den 70ern), je fremder wurde es mir. Mehr und mehr beschlich mich das Gefühl, daß ich in einem ganz anderen 70er Jahrzehnt groß geworden bin, als in dem, welches der Autor beschreibt. Denn mit Fortschreiten der Seiten wurden mir die Namen der Künstler und Bands immer unbekannter oder es kam ein „die mochte ich schon damals nicht“ hoch. Es sei zugegeben, daß ich schon immer eher ein Eigenbrödler denn ein Gemeinschaftsmensch war. Discotheken und einschlägige Clubs habe ich so gut wie gar nicht besucht und damit, wenn ich den Autor richtig verstehe, so ziemlich das meiste Relevante verpaßt (obwohl ich durchaus nicht das Gefühl habe, etwas verpaßt zu haben).

Meine (musikalische) Welt war in jenen Jahren eher die der Hitparaden, wie sie wöchentlich in den Radiostationen liefen. WDR (seltsamerweise war der in meiner Heimatstadt noch auf UKW zu empfangen), HR, BR - und natürlich der AFN (für die jüngeren: American Forces Network, der amerikanische Soldatensender). Nachts heulte der legendäre Wolfman Jack durch den Äther und der Samstag gehörte den Country-Charts sowie den Billboard Hot 100. Die Erinnerungen, die ich daran und an die Zeit habe, tauchen im Buch eher wenig auf, von den meisten Bands, die Hofacker nennt, habe ich nie gehört oder sie waren schlicht nicht mein Geschmack.

So ließ mich das Buch etwas zwiegespalten in dem Bewußtsein zurück, daß ich wohl ein ganz eigenes Jahrzehnt erlebt habe. Eines, das so ganz anders war als der Sound, den Hofacker beschreibt. Inwieweit das Buch also „den“ Sound der 70er beschreibt, sei dahingestellt. Es beschreibt aber gewißlich „einen“ Sound der 70er und in der Hinsicht hat es dann doch zumindest teilweise die Erwartungen, die ich an das Buch hatte, erfüllt. Es bleibt die Erkenntnis, daß Erinnerungen und Leben doch sehr persönliche Dinge sind, die sich für die meisten Menschen nicht verallgemeinern lassen, sondern individuell im wahrsten Sinne des Wortes erlebt werden müssen. Vom Anfang bis zum Ende. Eigentlich ein tröstlicher Gedanke.

 

Mein Fazit

Eine (musikalische) Reise durch die 70er Jahre mit so ziemlich allen Entwicklungen, die sich irgendwo auf der Welt taten. Sehr umfassend, für mich aber zu viel von Künstlern und Bands, die mich weder damals noch heute interessieren und zu wenig von denen, die damals meine „Helden“ waren. Subjektiv für mich also nicht das richtige Buch.

 

Über den Autor

Ernst Hofacker wurde 1957 geboren und hat Sozialpädagogik studiert. Nachdem er einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat, wurde er Journalist und arbeitete als Musikredaktuer für einen Radiosender und später für verschiedene Musikmagazine. Er hat mehrere Bücher geschrieben und lebt derzeit in Münster.

Bibliographische Angaben

350 Seiten, zahlreiche Abbildungen, gebunden
Verlag: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Ditzingen, 2. durchgesehene Auflage  2020; ISBN 978-3-15-011244-1

 

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