Texte

  • „Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben“ oder wer kennt noch Joseph Schmidt?

    Ein Lied ging um die Welt*, bevor ein Stern fiel** und für immer verstummte. Aber wer kennt heute noch Joseph Schmidt?

    Es kam, wie es kommen mußte. Das Verbringen des Wohnzimmerteppichs ins angrenzende Eßzimmer artete in Arbeit aus. Wenn schon - denn schon. Also wurde die Stereoanlage samt DVD-Spieler, nachdem die in der Nähe stehenden Regale weggeräumt und somit frei zugänglich waren, herausgenommen und gegen die geerbte „Reserveanlage“ ausgetauscht, da selbige von besserer Qualität ist. Um jedoch daran zu kommen, mußten zuvor aus den erwähnten Regalen deutliche Mengen an Büchern und auch Schallplatten entfernt werden. Wie es so geht, blieb es nicht beim einfachen Ausräumen; der Blick fiel hierhin, fiel dorthin, so mancher längst vergessene Schatz fand den Weg ans Tageslicht und zurück ins Bewußtsein. Erinnerungen fingen an zu fluten, lange vergangene Jahre und Abende bahnten sich den Weg aus dem Vergessen zurück ins Gedächtnis, als ob es erst gestern gewesen wäre. Begleitet von einem Ohrwurm, der schon (viel zu lange) geschwiegen hatte.

    Heut ist der schönste Tag in meinem Leben.
    Ich fühl zum ersten Mal, ich bin verliebt....

    Lange, sehr lange ist es her, ich war noch ein Kind, als dieses Lied regelmäßig im Radio zu hören war. Mittwochs im Wunschkonzert des damaligen SWF wurde es nach meiner Erinnerung fast jede Woche gespielt. Oder auch

    Ein Lied geht um die Welt,
    ein Lied, das euch gefällt....

    Beide vom damals noch nicht vergessenen Joseph Schmidt. Aber wer kennt ihn heute noch, einige Jahrzehnte später, in der Informationsflut erstickt, und über fünfundsiebzig Jahre nach seinem tragischen Tod?

    Oder David Oistrach. Kyrillische Schrift. Weitere Erinnerungen. JPC - Importe aus der UdSSR - mit Postkarte bestellen - tagelang warten, ob das Ersehnte kommt oder nicht: die Planwirtschaft konnte die immense Nachfrage nicht decken. Heute alles undenkbar. Denn weder konnte man online den Auftragsstatus abfragen, wurden Pakete über Nacht zugestellt noch konnte man sie gar online verfolgen - online gab es noch nicht.

    Jetzt im Winter - es gab dieses Jahr sogar schon Schnee -, da die Adventszeit auf ihr Ziel zuläuft, kommt mir dieser Text in Erinnerung. Denn wieder einmal ist es Zeit, habe ich vielleicht die Zeit, sich mit den alten Schätzen zu beschäftigen. Und wer weiß, was dieses Mal an Erinnerungen ans Tageslicht kommt. Die Adventsdekoration ist im Haus verteilt, an manchem Fenster, wie auch in den Nachbarhäusern, erstrahlt des Abends Licht. Wenn dann der Blick auf die wenigen seit Kindheitstagen wie ein Schatz gehüteten Holzfiguren fällt, reisen die Gedanken zurück. In das, was gerne als die „gute alte Zeit“ bezeichnet wird, zu den Abenden mit „Adventsstimmung“, als die Familie um den nur von Kerzen erleuchteten Tisch saß, Plätzchen gegessen und Geschichten vorgelesen wurde, ohne daß jemand dringend die E-Mails checken mußte, denn E-Mails gab es in den Zeiten, da das Telefon nur zum Telefonieren da war und noch eine Wählscheibe hatte (letztens mußte ich meiner Tochter in der Tat erklären, wie eine Wählscheibe eigentlich funktionierte?!), noch nicht. Ich habe damals nie verstanden, weshalb meiner Mutter bei Hans Christian Andersens „Der Tannenbaum“ die Tränen kamen. Heute kommen sie mir, und meine Tochter versteht mich nicht. So ist wohl der Lauf der Welt.

    War nun dieser „schönste Tag in meinem Leben“ schon oder kommt er erst noch? Und woran erkenne ich diesen überhaupt? Wer vermag solches schon zu beurteilen vor jenem letzten Tag, der unweigerlich einmal kommen wird. Bis dahin gibt es hoffentlich noch viele „schönste Tage“. Die dunklen Dezemberabende laden ein, darüber nachzudenken und die schönen Tage Revue passieren zu lassen. Man müßte sich „nur“ die Zeit dazu nehmen. Das war früher sicherlich einfacher und leichter als heute. War das doch die „gute alte Zeit“?

     

    * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *

    Anmerkungen für die jüngeren:
    1) „Ein Lied geht um die Welt“ - wohl bekanntestes Lied von Joseph Schmidt (1904 - 1942)
    2) Ein Stern fällt... Inschrift auf seinem Grabstein Hier der Wikipediaartikel mit Biographie und Werkverzeichnis

    Angesichts der heutigen Welt bleibt allerdings nur zu hoffen, daß man dann noch von einem „schönsten Tag in meinem Leben“ sprechen kann - und nicht von dem am wenigsten schlimmen.

     

  • Der letzte Zug

    Schon seit etlichen Jahren ist es (eher schlechter denn guter) Brauch geworden, daß die Weihnachtsausgabe einer Modellbahnzeitschrift (und nicht nur dieser) schon im Januar erscheint. Also nicht im Januar des entsprechenden Weihnachtsjahres, sondern die Januarausgabe für beispielsweise 2024 erscheint im Dezember 2023 und enthält die Weihnachtsthemen. Was natürlich besonders sinnvoll ist, wenn eine Weihnachtsanlage vorstellt wird - andererseits hat man dann ein Jahr Zeit zum Nachbauen, denn zu diesem Weihnachten wird es nicht mehr reichen. Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

  • Große Männer und kleine Züge*

    Zu der Zeit, in der es weder (Heim-) Computer noch drahtlose Telefone gab, als ein Winter noch ein Winter war, in dem man sich Hände und Füße abfrieren konnte, eine Zeit, in der Mensch wie Maschine noch das Rauchen erlaubt und ganz und gar selbstverständlich war: in jener guten alten Zeit also geschah es jedes Jahr, wenn die Bäume ihre Blätter verloren hatten, die Tage länger und dunkler wurden und es somit unweigerlich auf den alljährlichen Höhepunkt des Winters (die Advents- und Weihnachtszeit) zuging - zu dieser Zeit also bekamen die Augen der meisten kleinen und großen Männer einen besonderen Glanz, wurden die Spielwarengeschäfte und -abteilungen der Kaufhäuser doch ihrer jährlichen Umgestaltung unterzogen: die Modelleisenbahn verdrängte Vieles und nahm den ihr zustehenden Platz ein. Bis hin zur Vorführanlage, auf der (seinerzeit) aktuelle Züge, mit Dampf-, Diesel und Elloks bespannt, unermüdlich ihre Runden drehten. Gar manche Eltern wurden an den Rand der Verzweiflung gebracht, wollten die Sprößlinge doch gar nicht mehr weiter gehen. Obwohl es auch das Gerücht (und bisweilen auch Anzeichen dafür) gab, daß auch die Väter sich nicht losreißen konnten und der Sohn nur als Begründung für längeres eigenes Verweilen vorgeschoben wurde...

    Zu der Zeit also fand das Kind, an das hier gedacht wird, eine Modellbahnstartpackung unter dem Weihnachtsbaum vor. Dies hatte ungeahnte Folgen, hält sich doch hartnäckig das Gerücht, daß solche Startpackungen virenverseucht sind. Viren von einer Art, daß es bis heute weder ein Gegenmedikament oder gar eine Impfung gibt. Wieder und wieder taucht es in der einschlägigen Fachliteratur auf, ohne daß eine Heilungsmöglichkeit gefunden würde. Immerhin hat es, im Gegensatz zu so manch anderem Virus, einen treffenden Namen: in Fachkreisen ist es bekannt als virus mibanicus (frei übersetzt „Modellbahnvirus“). Einmal infiziert, wird man es nicht mehr los. Zumindest wurde bis heute noch keine Heilung dieser „Krankheit“ vermeldet.

    In der oben erwähnten Zeit fand dieses Virus besonders häufige Verbreitung, war der „Krankheitsverlauf“ in vielen Fällen, fragt man heute bei den „Überlebenden“ nach, ähnlich: Zur Adventszeit wurde im Kinderzimmer geräumt, um etwa zwei mal ein Meter Fläche frei zu bekommen. Da hat sich dann der Vater „ausgetobt“ und eine Saisonanlage aufgebaut - mit Schienen, Häuschen (was damals identisch mit Faller-Häuschen war) und einer Landschaft - selbstverständlich nur und ausschließlich, um dem Sohn eine Freude zu bereiten. War die Weihnachtszeit vorbei, wurde die Anlage - unter Protest und Tränen des Kindes - abgebaut und weggeräumt. Monate später zu Anfang der nächsten Adventszeit begann das „Spiel“ von vorne. Leider existieren von diesen Anlagen weder Fotos noch Zeichnungen, nur wenige Faller-Häuser haben bis heute - teils heftig ramponiert - überlebt und halten so die Erinnerung an die frühe Kindheit wach.

    Hatte man Glück, reichte es irgendwann zu einem Eisenbahnzimmer, in der Wohnung oder auch in einem trockenen Kellerraum. Hier wurden dann viele Stunden verbracht und, wenn man rückblickend an die seinerzeitigen Möglichkeiten denkt, hatte man doch eine ganz ordentliche Anlage im Bau - die aber meist nie fertig wurde. Vermutlich hat damals das Spielen - ähm ich meine natürlich das Fahren lassen der Züge nach einem (allerdings nicht vorhandenen) Fahrplan - mehr Freude bereitet als langwieriges Bauen.

    Irgendwann ist auch die schönste Jugend vorbei, und es heißt von zuhause auszuziehen. Und plötzlich gibt es ein sehr wirkungsvolles Gegenmittel zum virus mibanicus: es nennt sich „das Leben“ und wirkt ganz einfach, in dem selbiges andere bzw. neue Prioritäten setzt. Es reicht zu keiner „richtigen“ Anlage mehr, sei es, weil kein Platz vorhanden ist, sei es, weil im passenden Moment umgezogen wird, sei es, weil einfach die Familie ihren Tribut fordert. So gehen Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte dahin; aber mibanicus hat Geduld, viel Geduld. Bis, ja bis das Pendel zurückschwingt, Verdrängtes aus dem Vergessen auftaucht, vielleicht in Form eines alten Fotos, vielleicht durch Auffinden eines der erwähnten Faller-Häuschen in einem Karton, vielleicht durch einen Zeitschriftenartikel oder was es alles an Erinnerungshilfen gibt.

    Jedenfalls geht es nun wieder von vorne los; nun ja, nicht ganz von vorne. Trotz allem hat man mehr Erfahrung, und - hat man Glück - ist ein Grundstock in Form der aus der Kindheit stammenden Züge sowie Zubehör vorhanden, der sich weiter verwenden und erweitern läßt. Vieles hat sich verändert, und verwundert reibt man sich die Augen, wo sie denn hin ist, die gute alte Zeit, als man an der Hand der Eltern ins vorweihnachtliche Geschäft ging und mit großen Augen den Zügen auf der Vorführanlage nachsah, Wunschzettel mit ganz bestimmten Modellwünschen schrieb, und dann sehnlichst den Heiligen Abend erwartete, ob sich das denn auch unter dem Weihnachtsbaum einfinden würde. Wunschzettel schreibt man schon lange nicht mehr, die Geschäfte gibt es nicht mehr, und wer heute hat schon noch eine Dampflok in vollem Betrieb erlebt und kann die Gedanken nachfühlen, die man darob beim Betrachten eines fahrenden Modellzuges hat?

    Nichts lebt lang. Nichts bleibt bestehen. Außer der Erde und den Bergen.** Es mögen solche Gedanken sein, die irgendwann unwillkürlich ins Gedächtnis strömen, wenn man die Jahre zurück blickt und sich dabei sicher sein kann, daß nicht noch einmal so viele Jahre folgen werden. Aber: so Gott will, wie meine Oma zu sagen pflegte, kommen deren noch viele. Jahre mit der Gelegenheit und Möglichkeit, die aus der Kindheit ins Alter mitgenommenen Wünsche und Träume zu verwirklichen. Vermutlich nicht in so großen Dimensionen, wie man in jungen Jahren überschwenglich phantasiert, sondern kleiner, bescheidener - eben altersgemäß gereift. Jahre, in denen es zu einer kleinen, aber feinen Anlage mit Gleisen, Zügen, Häusern und einer richtigen Landschaft reicht. Angesiedelt möglicherweise in einer Zeit, die man selbst erlebt hat, damals, als man selbst noch jung war, das Leben in unbekannten Fernen vor einem lag, unendliche Möglichkeiten zu bieten schien, und man mit großen Augen den kleinen Zügen nachsah. Damals, als man sich draußen noch Hände und Füße abfrieren konnte, als die Loks noch rauchten und Weihnachten eine Stimmung mit sich brachte, die man heute kaum noch nachfühlen kann. Als man nach dem Christkind oder dem Weihnachtsmann Ausschau hielt, die man, so sehr man sich auch anstrengte, nie zu Gesicht bekam, um dann später doch das Gewünschte unter dem Tannenbaum vorzufinden.

    Nichts lebt lang. Nichts bleibt bestehen. Außer der Erde und den Bergen.**
    Und vielleicht die Modellbahn, die ruhig ihre Kreise zieht, und Gedanken an eine bessere Welt und Zeit aufkommen läßt.

     

     

    * = Der geneigten Leserin sei erklärt, daß seit Jahrzehnten das hier behandelte Thema fast ausschließlich nur Männer (kleine wie große) interessiert, wenige erfreuliche Ausnahmen bestätigen (leider) diese Regel; zahlreiche Appelle im Laufe der Jahre zur Änderung dieses Zustandes haben daran bisher nichts geändert.
    ** = vgl. Rosanne Bittner „Ride The Free Wind“, Zebra Books New York 1996, S. 208 und weitere, eigene Übersetzung

    Ursprünglich geschrieben am 7. Oktober 2020

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