Kein Mensch kann uns die Garantie geben, dass es die richtige Entscheidung ist, aber ist es nicht aufregend, aufzubrechen und neue Ziele ins Auge zu fassen? (Seite 49)

 

Cover: Die Stadt des ZarenZum Inhalt

Der Zar Peter der Große will Rußland in die Moderne führen. Nicht zuletzt deswegen will er eine neue Hauptstadt nach europäischem Muster erstehen lassen: der Grundstein für St. Petersburg ist gelegt.
Mit historischen und fiktiven Personen erzählt Martina Sahler in diesem Buch von den Anfängen St. Petersburgs, der Gründung und den ersten Häusern, die in sumpfiger Gegend dem Boden abgerungen werden mußten. Menschen aus allen Herren Ländern helfen mit - manche freiwillig, wie der deutsche Arzt Dr. Albrecht und seine Familie, manche unfreiwillig, wie die schwedischen Kriegsgefangenen oder die Leibeigenen, die unter oft unwürdigen Umständen Schwerstarbeit leisten müssen.
Es entsteht ein facettenreiches Bild, das die schönen, aber auch die Kehrseiten zeigt.

 

 

 

Meine Meinung

Zur Zeit meiner Kindheit und Jugend gab es diese Stadt nicht. Jedenfalls nicht mit diesen Namen. Und so war es denn auch Leningrad, in das ich 1986 hätte reisen wollen, wegen einschneidender familiärer Ereignisse jedoch nicht konnte. Niemand hätte damals gedacht, daß es nur noch ein paar Jahre dauern würde, bis Leningrad von der Landkarte verschwinden und St. Petersburg in alter Pracht wieder auftauchen würde. Aber wie das heutige St. Petersburg entstand ist damit noch lange nicht erklärt. Das tut Martina Sahler in ihrem neuen Roman auf eine Weise, daß ich ins Grübeln geraten bin, ob ich die seinerzeit ausgefallene Reise nicht doch noch nachholen sollte. Und das ich, der um Großstädte stets einen möglichst großen Bogen macht.

Gleich zu Beginn berichtigt die Autorin den auch von mir bisher für richtig gehaltenen Irrglauben, daß die Stadt nach ihrem Gründer - Zar Peter den Großen - benannt sei, wenngleich schon das „St.“ im Namen ein solches ausschließen sollte. Es ist der Apostel Petrus, der den Namen für die Stadt gab. Kein Wunder, daß die Kommunisten nichts besseres wußten, als diesen zu ändern.

Wer heute nach St. Petersburg reist, sich Filme oder Bilder davon ansieht, kann sich kaum vorstellen, welche ungeheuren Mühen es für die Menschen im beginnenden 18. Jahrhundert bedeutete, diese Stadt im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Boden zu stampfen, zumal aus einem sumpfigen, der für eine Stadtgründung alles andere als geeignet war. Aber der Zar wollte es so - und da gab es kein Erbarmen, es hatte so zu geschehen.

Man merkt dem Roman an, daß die Autorin hier besonders viel investiert hat, sei es Recherche, sei es Arbeit am Text, sei es Herzblut, das in dieses Buch mit eingeflossen ist. Mir ist eigentlich nur ein Kritikpunkt aufgefallen: das Buch dürfte ruhig noch etliche Seiten länger sein. Es gibt einige Orts- und Zeitsprünge, die manchmal den Eindruck des episodenhaften erwecken können. Auf der anderen Seite wäre es für den Leser möglicherweise ermüdend, immer wieder von den gleichen Schwierigkeiten und Problemen zu lesen, die sich damals ergaben. Es ist vermutlich eine Sache der persönlichen (Lese-)Vorliebe, ob man die „fehlenden Seiten“ vermißt oder nicht.

Auf jeden Fall ist es der Autorin gelungen, die Gründung der Stadt St. Petersburg sehr anschaulich darzustellen. Sie erzählt vom eisernen Willen des Zaren Peter dem Großen und seiner Zerrissenheit: einerseits war er den Traditionen Rußlands verhaftet, andererseits für seine Zeit offen und hochmodern und stets dabei, Rußland und seine Menschen in die moderne Zeit zu führen, und sei es mit Gewalt. Wir lesen von vielen, historischen und fiktiven, Menschen, die die Stadt bevölkern und ihren Teil zum Aufbau beitragen, sei es nun zwangsweise (wie die schwedischen Kriegsgefangenen oder die Leibeigenen) oder freiwillig, wie der deutsche Arzt Dr. Albrecht mit seiner Familie.

Es entsteht ein vielfältiges Panorama, das die Jahre 1703 bis 1712 in all ihren Facetten lebendig werden läßt. Ich habe mich mit den Menschen gefreut, mit ihnen gelitten, manche bedauert, andere gehaßt, das Wasser rauschen, das Feuer knacken gehört. Kurz: der Autorin ist es in diesem Roman noch besser als in ihrer „Wolga-Trilogie“ gelungen, eine vergangene Welt zum Leben zu erwecken. Sollte ich also jemals doch noch nach St. Petersburg kommen, hat dieses Buch einen nicht geringen Anteil daran.

Mein Fazit

Ein farbenprächtiges Bild der Gründung von St. Petersburg, das auch die dunklen Seiten nicht verschweigt. Gut geschrieben mit vielen Details - lesenswert.

 

 

Über die Autorin

Martina Sahler hat nach dem Studium als Lektorin gearbeitet; seit 1990 ist die freischaffende Schriftstellerin. Sie hat viele Bücher veröffentlicht, die in etliche Sprachen übersetzt wurden. Mit ihrer Familie leben sie im Bergischen Land.

Bibliographische Angaben

520 Seiten, 2 Landkarten im Vorsatz, Zeittafel, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: List / Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017. ISBN-13: 978-3-471-35154-3

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