Das Schicksal hatte sie mitten ins wirkliche Leben geschmissen. Es schien ihr, als wäre sie heute schlagartig erwachsen geworden, in mehrfacher Hinsicht. (Seite 354)

 

Cover: Gut Greifenau - AbendglanzZum Inhalt

1913 in Hinterpommern. Nachdem der alte Graf durch einen Unfall ums Leben gekommen ist, bricht auf Gut Greifenau eine neue Zeit an. Dessen Sohn interessiert sich weniger für die Belange des Guts und der Landwirtschaft, sondern für ein möglichst sorgenfreies bequemes Leben. Der neuen Gräfin ist nur wenig wichtig: ihr Standesdünkel, die Etikette - und daß ihre Kinder gut verheiratet werden, egal was diese selbst davon halten.
Konstantin, der älteste Sohn, würde das Gut gerne modernisieren - aber sein Vater ist dagegen. Zu allem Überfluß verliebt er sich in die bürgerliche Lehrerin Rebecca Kurscheidt, wovon seine Eltern besser nichts erfahren sollten. Seine jüngste Schwester Katharina soll standesgemäß heiraten, doch ihr Herz gehört längst einem Industriellensohn.
Zu den Bewohnern des Hauses gehört aber nicht nur die gräfliche Familie, sondern vor allem auch die vielen Bediensteten, ohne die der Haushalt nicht funktioneren würde. Diese haben ganz andere Sorgen als die Herrschaft - und nicht wenige von ihnen das eine oder andere Geheimnis. Wie etwa der neue Kutscher Albert, der auf der Suche nach seiner Herkunft ist.
Durch Standesunterschiede getrennt und dennoch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, geht das Leben bei Herr- wie Dienerschaft seinen Gang. Am Vorabend des 1. Weltkrieges.

 

 

 

Meine Meinung

Es ist bald fünf Jahre her, daß ich Elisabeth Büchles Meindorff-Trilogie gelesen habe. Das war, kurz vor dem hundertsten Jahrestag zum Beginn des 1. Weltkrieges, das erste Mal, daß ich Romane, die just zu dieser Zeit angesiedelt sind, gelesen habe. Nachdem das Ende des Weltkrieges inzwischen schon über hundert Jahre zurück liegt, war es an der Zeit, sich jener Epoche von einer anderen Seite her zu nähern. Die Inhaltsangabe zu diesem ersten von drei Bänden las sich gut - und das Buch hat gehalten, was es versprochen hat. Eher bot es erfreulicherweise wesentlich mehr, als der Verlag auf der Buchrückenseite angekündigt hat. Denn auch wenn die dort angegebenen Liebesgeschichten durchaus tragende Rollen spielen, greift die Handlung inhaltlich deutlich weiter aus.

In Gang gesetzt werden die Ereignisse letztlich durch den Unfalltod des altes Patriarchen, wodurch das Gut an dessen Sohn übergeht. Schwierigkeiten ergeben sich recht bald, denn es stellt sich heraus, daß der neue Graf seinen Aufgaben nicht gewachsen ist, dessen Sohn Konstantin, der Landwirtschaft studiert hat, jedoch sehr wohl. So bleibt es nicht aus, daß die beiden immer wieder aneinander geraten; es ist eine Zeit des Umbruchs: die Mechanisierung der Landwirtschaft beginnt, die Beharrungskräfte sind jedoch sehr stark. Neues gegen Überkommenes, Jung gegen Alt - damals wie heute ein ewiger Konfliktherd.

Indem sowohl das Leben und die Ansichten der herrschaftlichen Familie wie der zahlreichen Bediensteten geschildert werden, entsteht ein facettenreiches Bild eines solchen Landgutes um 1913. Besonders deutlich wird der große Unterschied zwischen den Klassen, die nahezu unüberbrückbare Kluft zwischen Adel und Bürgertum. Mehrfach finden sich im Buch Ausführungen dazu und erst dadurch sind mir die Unterschiede wirklich bewußt geworden. Im Nachhinein (und natürlich mit dem Wissen des Ganges der Geschichte) war es wohl unausweichlich, daß die Monarchie zusammenbrach. Denn mit diesen Einstellungen und dem Unwillen zu Veränderungen konnte eine zunehmend technisierte und industrialisierte Gesellschaft nicht bestehen.

Neben diesen grundsätzlichen Fragen müssen die Figuren aber mit ihren konkreten jeweiligen Lebenssituationen zurecht kommen. Da geschieht nur wenig Spektakuläres - und gerade das macht das Buch so unheimlich real, daß ich ständig das Gefühl hatte: genau so ist das damals gewesen. So haben die Menschen gelebt, mit diesen Problemen gekämpft, diese Gedanken und Überlegungen angestellt, wie sie sich hier vorfinden. Immer wieder mußte ich mir vergegenwärtigen, daß diese Geschichte fiktiv ist - und dennoch stimmt der Ablauf der Ereignisse mit dem überein, was mir aus Sachbüchern von jener Zeit her bekannt ist.

Insgesamt hat mir das Buch ausnehmend gut gefallen. Wenn ich es recht überlege, fällt mir kein ernsthafter Kritikpunkt ein, da der Roman mehr bot, als ich erwartet habe und mir Einsichten in die damaligen Gesellschaftsstrukturen beschert hat, wie sie mir bisher kein Sachbuch vermitteln konnte. Ich freue mich auf den Folgeband, der schon bereit liegt.

Mein Fazit

Eine Welt mit ersten Anzeichen zu einem Umbruch in eine neue Zeit am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Herrschaft und Bedienstete eines pommerschen Gutes in der trügerischen Ruhe vor dem kommenden Sturm. Ein überaus gelungener Auftakt der Trilogie.

 

Über die Autorin (Verlagsangabe)

Hanna Caspian ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin. Hanna Caspian studierte Literaturwissenschaften, Sprachen und Politikwissenschaft in Aachen und arbeitete danach lange Jahre im PR- und Marketingbereich. Zuletzt war sie Anzeigenleiterin und Projektmanagerin in einem Fachverlag. Mit ihrem Mann lebt sie heute als freie Autorin in Köln, wenn sie nicht gerade durch die Weltgeschichte reist.

Bibliographische Angaben

556 Seiten, 3 Abbildungen, kartoniert
Verlag: Knaur Taschenbuch Verlag, München 2018. ISBN 978-3-426-52150-2


Die Greifenau - Trilogie:
Caspian, Hanna: Gut Greifenau (1) - Abendglanz
Caspian, Hanna: Gut Greifenau (2) - Nachtfeuer
Caspian, Hanna: Gut Greifenau (3) - Morgenröte

 

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