Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muß sich alles ändern. (Seite 35)

 

Cover: Der Gattopardo

 

Zum Inhalt

Das Buch erzählt von Don Fabricio, dem Fürsten von Salina, und seiner Familie in Zeiten des Umbruchs.
Der Bogen spannt sich vom Jahr 1860, als Garibaldi mit seinen Truppen in Sizilien an Land ging, bis ins Jahr 1910, als Don Fabricio längst entschlafen ist und seine alt gewordenen Kinder auf ihr Leben blicken und an frühere Zeiten zurückdenken.
So endet in leiser Melancholie ein „Meisterwerk (...) um Tradition, Aufbruch und Leidenschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert.“ (Klappentext)

 

 

 

 

Meine Meinung

Doch auch, um das obige Zitat aufzugreifen, wenn sich alles ändert, bleibt nichts, wie es ist. Das ist wohl die vermutlich seltsam anmutende Quintessenz dieses Buches, denn am Ende hat sich alles geändert und nichts ist mehr, wie es war. Tempi passati.

Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, das mich so gefangen genommen hat wie dieses; und das obwohl ich zunächst gar nicht recht etwas damit anfangen konnte; möglicherweise wäre es von Vorteil, Vorkenntnisse der Geschichte Siziliens zu haben. Nachdem die ersten fünfzig Seiten jedoch gelesen waren, gab sich das, und ich konnte neben dem Inhalt vor allem auch die wundervolle Sprache genießen.

Genau deswegen habe ich ursprünglich, als mir noch nicht so recht klar war, wie sich das Buch entwickeln würde, weiter gelesen. Was für ein schönes, ausgefeiltes Deutsch! Da bereitet das Lesen alleine schon deshalb Freude, denn ein solcher Sprachgenuß ist heute wahrlich selten geworden. Hierbei beziehe ich mich ausdrücklich auf die von mir gelesene Übersetzung von Giò Waeckerlin Induni, auch wenn diese in „Fachkreisen“ anscheinend nicht sonderlich gut angesehen ist. Zu dieser Übersetzung im Vergleich zur neuen später noch einige Sätze, hier an diese Stelle gehört mein Ausdruck der Hochachtung gegenüber der Übersetzerin, die für meine Begriffe erstklassige Arbeit geleistet hat. (Angemerkt sei, daß ich mich dabei auf den deutschen Text beziehe; da ich kein Italienisch kann, ist mir ein Vergleich mit dem Original nicht möglich). Ein Merkmal einer guten bis sehr guten Übersetzung für mich ist, wenn ich beim Lesen das Gefühl habe, einen im Original deutschsprachigen Text zu lesen - das ist hier eindeutig der Fall (und nicht, wie das bei Übersetzungen aus dem Englischen des Öfteren vorkommt, beim Lesen die originale Satzstellung und Wortwahl durchklingen, so daß ich unwillkürlich zurück ins Englische übersetze). Dem Nachwort von Gioacchino Lanza Tomasi ist zu entnehmen, daß es sich um die „letzte, nochmals durchgesehene Fassung des Gattopardo“ handelt, es sich mithin um die „endgültige, von ihm [dem Autor, Anm. von mir] gewünschte Fassung handelt.“

Lampedusa erzählt von seinen Vorfahren und wie es ihnen im Untergang des alten Sizilien ergangen ist. Er spannt einen Bogen von 1860, erzählt von einzelnen Stationen auf dem Weg zum geeinten Italien, bis das Buch schließlich in einer Art Epilog im Mai 1910 wehmütig ausklingt.

Wir lernen Don Fabricio kennen, einen Fürsten alter Schule, dessen Ansehen aber zu sinken beginnt, als er plötzlich freundlich zu den Mitmenschen ist. Den Gegensatz hierzu bildet sein Neffe Tancredi, ein junger, etwas leichtlebiger Mann, der sich mit den sich verändernden Zeitläuften zu arrangieren weiß und nicht nur deshalb eine Ehe mit Angelica, der Tochter des Bürgermeisters, anstrebt, die sich von der Ehe mit Tancredi wiederum gesellschaftlichen Aufstieg erhofft. Daneben gibt es etliche weitere Figuren, die mehr oder weniger große Rollen übernehmen, und deren Schicksal mit dem des Don Fabricio, aber auch Tancredi, verwoben sind.

Der Autor hat sie für mich lebendig werden lassen; es erstand vor meinem geistigen Auge eine untergegangene Welt, von der ich bisher kaum wußte, daß sie überhaupt existiert hat. Dabei hat der Autor auch Details im Blick, wie zum Beispiel das Fehlen des Platzes für die Füße in der Kutsche auf dem Weg zum Ball. Und endlich wird auch einmal zugegeben, daß man nach einer auf dem Ball durchfeierten Nacht gegen Ende derselben einfach nur noch hundemüde ist und ins Bett möchte.

Es sind solche Kleinigkeiten, durch die der Autor seinen Figuren und der von ihm beschriebenen Welt noch mehr Anschaulichkeit verleiht, den Leser noch mehr Anteil nehmen läßt. Aber unweigerlich schreitet die Geschichte voran, entwickelt sich, verändert Menschen wie Welt, um schließlich zu sein, wie sie immer war.

Und so bleibt am Ende nichts mehr als ein verlorenes Leben und ein Häufchen Staub.

Meine Güte, was für ein Buch!

 

Mein Fazit

Sprachgewaltig erzählt der Autor von Schicksal seiner Familie und dem Untergang des alten Sizilien. Ich konnte es nur halten wie die Hauptfigur: „Don Fabricio blieb stehen, schaute, erinnerte sich, betrauerte. Verharrte lange.“ (S. 80) Wenn ich lange genug verharrt haben werde, heißt es, den Roman ein weiteres Mal zu lesen. Denn dies ist ein Buch, das geradezu danach schreit, mehrfach gelesen zu werden. Absolut grandios.

 

Über den Autor

Giuseppe Tomasi di Lampedusa wurde am 23. Dezember 1896 in Palermo geboren. Er hat in Rom und Genau studiert, jedoch keinen Abschluß gemacht. 1934 wurde er nach dem Tod seines Vaters Fürst von Lampedusa. Er war seit 1932 mit Alexandra von Wolff-Stomersee, einer Psychoanalytikerin, verheiratet. Er starb 1957 in Rom und ist in Palermo begraben.
„Der Gattopardo“ ist sein einziger vollendeter Roman; er wurde nach seinem Tode veröffentlicht und sofort ein Welterfolg.

Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgabe

367 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen
Originaltitel: Il Gattopardo. Aus dem Italienischen von Giò Waeckerlin Induni
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gioacchino Lanza Tomasi
Verlag: Piper Verlag, München/Zürich 2004; ISBN-10: 3-492-04584-7, ISBN-13: 978-3-492-04584-1

 

 

Zur Übersetzung

Es sei vorausgeschickt, daß dies nun das vierte* Buch ist, bei dem ich bewährte und neue Übersetzung verglichen habe. In allen Fällen, so auch in diesem, hat mir die ältere Übersetzung deutlich besser gefallen. Ferner sei erwähnt, daß ich ausschließlich vom deutschen Text ausgehen, da ich kein Italienisch spreche und demgemäß nicht mit dem Original vergleichen kann.

Als Leser erwarte ich von einer Übersetzung, daß ich beim Lesen nicht merke, daß es sich um eine Übersetzung handelt. Ferner sollte eine Übersetzung für mich in gutem bis sehr guten Deutsch verfaßt sein, selbst wenn dies bedeutet, daß manches nicht wörtlich, sondern sinngemäß übersetzt ist.

Dies ist bei der Iduni-Übersetzung für mich der Fall. Die Sprache ist flüssig, gut lesbar, entspricht für mich dem Inhalt, und trägt damit ihren Teil dazu bei, die alte Welt auferstehen zu lassen.

Die Kroeber-Übersetzung empfand ich als, etwas überspitzt ausgedrückt, sperrig, ein Lesefluß wollte sich bei mir nicht einstellen. Die Sprache erschien mir relativ modern, eher eine Sprache unserer denn früherer Tage, und damit teilweise im Gegensatz zum Inhalt.

 

Hier drei Stellen im Vergleich als Muster:

Induni (2004): "Der tägliche Rosenkranz war zu Ende." (S. 11)
Kroeber (2019): "Das tägliche Rosenkranzbeten war zu Ende." (S. 7)

Der Begriff „Rosenkranzbeten“ begegnet mir in dieser Form hier erstmals. „Rosenkranz“ und „beten“ kenne ich zusammen als „wir beten jetzt den Rosenkranz“ oder „wir beten nachher / heute den Rosenkranz“. Ansonsten hieß es stets einfach „Rosenkranz“, insofern entspricht „der tägliche Rosenkranz“ dem Sprachgebrauch, wie er mir als katholisch sozialisierter geläufig ist, während ich den Begriff „tägliche Rosenkranzbeten“ als Fremdkörper empfinde.

 

Induni (2004): „(...) und erst noch im hartnäckig sizilianischsten Teil der Insel (...)“ (S. 182)
Kroeber (2019): „(...) und noch dazu in dem beharrlich ‚indigensten‘, bodenständigsten Teil der Insel (...)“

Der Begriff „Indigen“ in Bezug auf Europa im 19. Jahrhundert - auch das ist mir hier erstmals begegnet und scheint mir mehr als unpassend zu sein.

 

Induni (2004): „(...) und überdies von einer erschreckenden Inselmentalität.“ (S. 195)
Kroeber (2019): „(...) einer wahren Insularität der Seele.“ (S. 228)

Als in Großbritannien die Abstimmung zum Brexit im Gange war, habe ich mich mit einem Briten, der schon lange in Deutschland lebt, darüber unterhalten. Er gebrauchte ausdrücklich den Begriff „Inselmentalität“, um seine Landsleute und ihr Abstimmungsverhalten zu beschreiben. Hier scheint es mir um die gleiche Unterscheidung zwischen „Kontinentbewohner“ und „Inselbewohner“ zu gehen, insoweit ist der Begriff „Inselmentalität“ deutlich (wenn überhaupt nur) zutreffender als „Insularität der Seele“.

 

Als Leser, und nur als solcher schreibe ich hier, erschien mir die Induni-Übersetzung deutlich ausgefeilter und "muttersprachlicher" als die Kroeber-Übersetzung. Mag sein, daß die Krober-Übersetzung moderner und er heutigen Zeit mehr angepaßt ist, aber vielleicht ist genau dies der Grund, weshalb mir die von Induni um Längen besser gefallen hat. Weil Form und Inhalt einander entsprechen.

 

* = Die bisherigen drei waren:
Fjodor M. Dostojewski „Die Dämonen“
Selma Lagerlöf „Gösta Berling“
John R. R. Tolkien „Der Herr der Ringe“

 

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