Am Anfang des 20. Jahrhunderts war die Entscheidung darüber, wer im christlich geprägten Abendland den Ton angab, gefallen - zugunsten der Glaubensskeptiker.
Das bedeutete aber auch, dass die Botschaft von Jesus wieder das wurde, was sie bereits zu dessen Lebzeiten gewesen war: ein „Ärgernis“. (Seite 715)

 

Cover: Jesus. Eine WeltgeschichteZum Inhalt

Der Buchtitel „Jesus. Eine Weltgeschichte“ besagt eigentlich alles, was der Autor in sein Buch gepackt hat: eine „Biographie“ von Jesus, eingebettet in die Geschichte der Welt. Er beginnt lange vor der Zeitrechnung mit den ersten Höhlenmenschen und ihrer Sehnsucht nach dem Überirdischen, geht durch die Jahrhunderte (mit Blick auf die Prophezeiungen zu Jesus im Alten Testament), beschreibt Leben und Wirken Jesu, um weiter durch die Geschichte bis in unsere Zeit hinein die Folgen zu beschreiben, die Jesus verursacht hat.

 

 

 

 

Meine Meinung

Auf der Buchrückseite liest man: „Tausend Seiten, akribisch recherchiert, leidenschaftlich formuliert.“ Dem kann ich so zustimmen, wenngleich darin auch einer meiner Kritikpunkte umschrieben ist. Spieker bietet in der Tat eine akribisch recherchierte Erzählung - immer wieder schimmert sein großes Wissen um Details wie Gesamtzusammenhänge auf. „Leidenschaftlich formuliert“ liest sich das Buch für mich allerdings in eher lockerer, teilweise „schnodderiger“ Sprache, und das hat mir des Öfteren Probleme bereitet. Denn damit stimmen für mich Form und Inhalt nicht überein, was für mich zu Lasten der Glaubwürdigkeit geht. Mag aber sein, daß ich nicht zur eigentlichen Zielgruppe des Buches gehöre, denn wenn ich über ein ernstes Thema ein (Sach-)Buch lese, erwarte ich auch eine ernste Sprache.

Das Buch ist (soll sein?) eine umfassende Geschichte von allem, was mit Jesus zusammenhängt. Das ist für mich das Plus - aber auch das große Minus dieses Buches. Es ist zu viel, wirkt zu überfrachtet, und scheint mir bisweilen etwas oberflächlich zu bleiben (möglicherweise wegen des Schreibstils? - s. o.). Manchmal beschlich mich das Gefühl, daß es etwas gewollt und auf Biegen und Brechen so interpretiert war. Eben von Allem ein Bißchen und Nichts richtig in die Tiefe. Hier wäre weniger mehr gewesen. Oder das Buch in drei Bände aufteilen - und die dann entsprechend umfangreich und vollständig.

Das ganze Buch über faszinierte mich, wie genau der Autor weiß, was damals alles genau passiert ist. Man meint, er ist selbst dabei gewesen. Manches Mal habe ich mich gefragt, woher der Autor das alles weiß bzw. wissen will. Mehr und mehr vermisse ich genauere Quellenangaben, denn genau das ist ein weiterer Kritikpunkt: er gibt keinerlei genaue Quellen an. Zwar findet sich im Anhang ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis, doch wenn der Autor im Text zitiert, gibt es keine Angaben. Nicht mal die Bibelstellen hat er bezeichnet. Im Anhang erklärt der Autor, daß er bewußt auf Anmerkungen verzichtet hat, weil das keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern in erster Linie eine „persönliche Würdigung des Erlösers“ ist (vgl. S. 969). Kann man so sehen, aber für mich leidet darunter die Glaubwürdigkeit. So schreibt er beispielsweise auf Seite 612 lapidar: „Entgegen manchen Vorstellungen versteckten und versammelten sich die Christen nicht in Katakomben. Die unterirdischen Gräberstätten waren ausschließlich dafür da, die Verstorbenen zu begraben.“ Die Christen hätten sich in Wohnungen oder in der freien Natur und irgendwann in größeren Räumen getroffen, und immer „inoffiziell“. Das widerspricht allem, was ich bisher über diese Zeit des Urchristentums gehört und gelesen habe, da hätte ich dann doch gerne eine etwas genauere Quellenangabe, ein „bewußtes Verzichten auf Anmerkungen“ reicht mir da nicht, um dem Autor Glauben zu schenken. Oder kurz zuvor, S. 579: „Johannes setzt nämlich den Tod von Petrus voraus.“ Wieso setzt das Johannesevangelium den Tod des Petrus voraus? Der Autor gibt keinerlei Begründung hierfür an.

Interessant fand ich die Ausführungen des Autors zur Geschichte und Entwicklung des Islam; unterschwellig weist er damit auch auf eine Unterschätzung und zu große „Anbiederung“ in der heutigen Zeit nebst den daraus erwachsenden Gefahren hin (vgl. S. 819ff). Im Zusammenhang mit dem Islam gibt der Autor übrigens eines der stärksten Argumente für Jesus, indem er Blaise Pascal zitiert: „Jeder Mensch kann tun, was Mohammed getan hat. Denn er hat keine Wunder getan, und er ist nicht vorausgesagt worden. Kein Mensch kann tun, was Jesus Christus getan hat.“ (S. 710)

Das Buch ist jedoch keine „Jubelorgie“ über Jesus bzw. seine Nachfolger und Anhänger; sehr deutlich spricht er auch die negativen Auswüchse (bis in unsere Tage) im Laufe der Geschichte seit Jesu Tod und Auferstehung an. „Betiebsblindheit“ kann man ihm keinesfalls vorwerfen. Eine Untersuchung, inwiefern christliche Überlieferung und Lehren durch die Erfahrungen der ersten Jahrhunderte geprägt und bestimmt sind, wäre hier in diesem Buch zwar zu weit führend, aber hochinteressant.

Insgesamt gesehen habe ich mich mit dem Buch etwas schwer getan, nicht zuletzt wegen des Schreibstils, der auf Dauer so gar nicht der meine war. Davon abgesehen bietet der Autor eine immense Fülle an Wissen und Informationen sowie genau das, was der Titel besagt: im Hinblick auf Jesus von Nazareth eine Weltgeschichte von den frühen Zeiten der Menschen bis in unsere Tage. Was über ihn vorausgesagt wurde, wie er lebte und diese Prophezeiungen erfüllte bis hin zu den Folgen, die sein Handeln in der Welt im Laufe der Jahrhunderte zeitigte. Dabei vermag der Autor aufzuzeigen, daß auf den ersten Blick ungünstige Dinge oder Entscheidungen Jesu (zum Beispiel ist keiner der Apostel Priester oder Gelehrter) auf lange Sicht gesehen die (einzig) richtigen waren.

Das Buch ist eine Interpretation der Bibel wie der (Welt-)Geschichte auf Jesus hin. Man kann das bis zu einem gewissen Grade sicherlich subjektiv nennen. Doch was ist, wenn diese „Interpretation“ die Wahrheit ist und Jesus in der Tat auch objektiv der Dreh- und Angelpunkt der (Welt-)Geschichte ist? Die Konsequenzen wären weitreichend und absolut. Vermutlich auch oder gerade deswegen wird immer wieder versucht, die Wahrheit zum Mythos zu stilisieren. Am Ende wird jedoch die Wahrheit siegen.

Hier fällt mir dann das Schlußwort eines ganz anderen Buches ein, das hier aber genau so exakt paßt wie dort: „Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wenn das Manuskript echt ist, sollten wir alle über unser Leben nachdenken. Und zwar sorgfältig.“*

Genau dazu fordert uns auch hier der Autor auf.

 

Mein Fazit

Die Weltgeschichte interpretiert im Hinblick auf Leben und Wirken Jesu. Trotz einiger, teils (für mich) starker Kritikpunkte bin ich froh, das Buch gelesen zu haben, wenngleich ich (vor allem wegen dieser Punkte) recht lange dafür gebraucht habe. Spieker bietet einen umfangreichen Überblick über sein Thema und nicht nur durch die Literaturliste genügend Hinweise zum eigenen weiteren Studium des Themas.

 

Über den Autor

Markus Spieker, promovierter Historiker, war ARD-Korrespondent in Berlin sowie zwischen 2014 und 2018 der Leiter des ARD-Studios in Indien, dabei war er für Südasien zuständig. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitet er für den MDR. Er hat in Gießen und Leipzig studiert, etliche Bücher veröffentlicht und lebt bei Leipzig.

Bibliographische Angaben

1001 Seiten, gebunden, Lesebändchen, ausführliches Literaturverzeichnis Verlag: Fontis Verlag, Basel 2020; ISBN 978-3-03848-188-1

 

* zitiert aus: Richard Matheson „Das Ende ist nur der Anfang“ (Originaltitel „What Dreams May Come“), Goldmann Verlag München 1998, Seite 311

 

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